Türchen 13

Türchen 13
16. Dezember 2025 Ida Riegler

Eine Weihnachtsgeschichte

Es regnet. Meine Finger hauen in die Tasten, nicht in die eines Klaviers, sondern die des Laptops. Ich schreibe ein Protokoll, das dringend fertig werden muss. Der Kaffee ist auch schon wieder leer, genervt scrolle ich herunter und konfrontiere mich mit der Tatsache, dass es immer noch vier Seiten sind. Zähne zusammenbeißen, denke ich mir und gebe zugleich dem Drang nach, eine Handypause einzulegen. In der Vorstandsgruppe ist es schon wieder total eskaliert. War vor einer Stunde noch Ruhe, warten jetzt 247 Nachrichten auf mich. Keine Bilder. Bitte was? In meiner Magengrube braut sich etwas zusammen, das sich wie ein Cocktail aus Verzweiflung, Stress und Gereiztheit anfühlt. Nach dem Überfliegen der Nachrichten bin ich einerseits beruhigt, dass es nicht um das Protokoll geht, andererseits macht sich Unverständnis in mir breit. Wir diskutieren anscheinend ernsthaft darüber, ob wir in ein Krankenhaus fahren, um ein Baby zu besuchen. Und niemand von uns kennt die Eltern. Zwei Stunden Fahrtzeit einfach, ich verstehe die Welt nicht mehr. Kopfschüttelnd widme ich mich wieder dem Protokoll, sonst werde ich nie damit fertig. Keine zwei Absätze später werde ich angerufen. Einsilbig mache ich dem Rest der Vorstandschaft klar, wie wenig ich gerade dafür übrighabe. Sie versuchen, mich weiter zu überzeugen. Es sei ein ganz besonderes Kind, ein Baby mit einer großen Zukunft. Sie hätten gehört (na klar…), es würde der Welt Frieden bringen. Ich stocke kurz. Was müsste wohl passieren, damit ich mich wirklich auf den Weg mache, eine unbekannte Familie in dieser Entfernung zu besuchen? Mir fallen nur Dinge ein wie zu verkaufende Konzertkarten, Schränke und andere Konsumgüter. Aber Frieden? Lockt mich das nicht oder halte ich die Sache schlicht für unglaubwürdig? Ich kehre zurück zum Telefonat, der Inhalt hat sich nicht verändert. „…in einer dreiviertel Stunde fahren wir jedenfalls los.“ Damit endet das Gespräch. Ich lege das Telefon weg, starre auf mein Protokoll. Selbst, wenn ich bleiben würde, ich könnte mich nicht mehr darauf konzentrieren. Und hey, ich bin schon für sinnlosere Dinge aufgestanden als für Frieden. Vielleicht gibt es auf dem Weg noch Burger. Angezogen bin ich schon auf dem Weg in den Regen, da prüfe ich nochmal meinen Geldbeutel. Wir sollten wenigstens etwas schenken. Natürlich ist er leer, prüfend schweift mein Blick durch die Wohnung. Wehmütig nehme ich das noch warme Brot aus dem Ofen. Erst will ich es teilen, aber das mache ich dann doch nicht. Ich schlage es in ein Geschirrtuch ein und mache mich dann auf den Weg. Auf der Autobahn habe ich Zeit, nachzudenken. Ich denke wieder an Konzertkarten und wie groß mein Einsatz für gewisse Dinge ist. Wie gering dagegen für nicht greifbare Themen wie Frieden, Gerechtigkeit, so selbstlose Sachen. Schade, denke ich mir. Aber mein schlechtes Gewissen kommt erst später, als ich noch ein bisschen nachgedacht habe. Und ich nehme mir vor, die Verantwortung für Frieden nicht auf ein Baby abzuwälzen, sondern irgendwie auch selbst etwas dafür zu tun. Das kann doch nicht so schwer sein.

 

Autor*in: Christian Wüst

 

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